Beten mithilfe eines Rosenkranzes ist eine ganz eigene Form spiritueller / religiöser Übung. Es hat etwas Meditatives, fördert die innere Ruhe und Konzentration und schafft eine innige Verbindung zur verehrten Gottheit, da man kurze aber prägnante Gebetsformeln (im Hinduismus und Buddhismus sind das Mantras) öfters wiederholt und sich der Geist so voll und ganz auf den Akt der Verbindung mit der Gottheit einlässt.
Der Rosenkranz ist für die keltische Eisenzeit nicht belegt (und auch nicht für die klassische Antike). (Halsketten aus Glasperlen oder Bernsteinperlen gab es zwar in der La Tène-Zeit, es gibt aber nicht die geringsten Hinweise dafür, dass diese Ketten zum Abzählen von Gebetssprüchen genutzt wurden, geschweige denn für solche Gebetssprüche.)
In Europa wird der Rosenkranz erstmals um das Jahr 1000 durch Lady Godiva (eine britische Adlige, die deshalb berühmt wurde, weil sie aus Protest gegen ihren geldgierigen und tyrannischen Ehemann nackt durch die Stadt ritt) erwähnt, natürlich im Rahmen der katholischen Kirche. Aber erst einige Jahrhunderte später entwickelte sich die heute noch gebräuchliche Form der Marienverehrung mittels des Rosenkranzes.
Dieser katholische Rosenkranz dürfte vielleicht seinen Ursprung in der islamischen Gebetskette (Tasbih) haben, welche wiederum wahrscheinlich von der buddhistischen Version (Mala, auch bei Hindus gebräuchlich) inspiriert war. Das heißt, der Rosenkranz ist wahrscheinlich eine hinduistische Erfindung.
Aus Sicht des CR kann man also nur auf das katholische Christentum zurückgreifen, will man das Rosenkranzgebet irgendwie „keltisch“ begründen (oder auf die Hindus, wenn man nach einer polytheistischen Verbindung sucht).
Der Grund, warum ich diese Gebetsart so faszinierend finde, liegt also mitnichten bei den Kelten sondern einfach in der Faszination des Rosenkranzes selbst. Ich fand diese Perlenkette mit den vorgeschriebenen Gebeten immer schon interessant und versuchte bereits in meinen jungen Heidenjahren irgendwie, einen katholischen Rosenkranz für meine paganen Bedürfnisse zu adaptieren (es blieb immer beim Versuch).
Erst jetzt, wo ich meinen Weg im keltischen Neuheidentum gefunden habe, habe ich mich noch einmal dieses Themas angenommen und experimentiert. Neben der katholischen Version habe ich mich auch mit der islamischen und der hinduistischen Gebetskette auseinandergesetzt. Die erste Frage, die zu lösen war, war die Anzahl der Perlen. Die katholische (50 kleine Perlen in fünf Bereichen zu je zehn Perlen mit einem Ende, an dem das Kreuz hängt, und das für Anfang und Ende des Rosenkranzes steht) und die hinduistische Version (108 Perlen für die 108 Attribute der Gottheit) befriedigten mich nicht so sehr. Der islamische Tasbih, der 33 oder 99 Perlen hat, hat es mir aber angetan. 33 Gottheiten gelten als die Hauptgottheiten im Rig-Veda, und auch in den inselkeltischen Mythen kommt die Zahl 33 manchmal vor, v.a. als 16+16+1 oder auch die 33 Anderweltinseln, die Mael Dúin bereist. Wenn es um kosmologische Einteilungen geht, v.a. im Bezug auf Gottheiten, und es eine größere Zahl sein soll, nehme ich die 33 oder die 3-fache Version davon, 99.
Ich habe mich für einen Rosenkranz mit 33 Perlen entschieden. Sie symbolisieren für mich die Ganzheit des Pantheons (natürlich sind wesentlich mehr Gottheiten bekannt, an die 500 nämlich — bei 33 handelt es sich daher um eine symbolische „Ganzheitszahl“). Statt dem Kreuz beim katholischen Rosenkranz habe ich eine Triskele am Anfangs- und Endpunkt befestigt. Damit ich in der Anzahl von Gebetssprüchen flexibler sein kann, habe ich die 33 Perlen durch Miniperlen aufgeteilt: zwei Seiten zu je 16 Perlen, gegenüber der Triskele eine einzelne Perle, die die zwei 16er-Reihen voneinander trennt.
Beim Material habe ich mich natürlich für Bernstein entschieden, jener einzige „Halbedelstein“, der vermehrt in eisenzeitlichen Gräbern auftaucht. Wenn man weniger Geld zur Verfügung hat, sind bunte Glasperlen eine gute Alternative.
Jetzt hatte ich also meinen keltisch-neuheidnischen Rosenkranz fertig. Stellte sich die weitaus schwierigere Frage: Was soll ich jetzt nun beten? Die katholische Version hat mich nicht so begeistert. 50 x ein ganzes Gebet sprechen nervt mich irgendwann sicher. Es müssten kürzere Sprüche sein. Eine Zeitlang habe ich mich mit den 99 Namen Allahs auseinandergesetzt, entsprechende 99 Namen für meine kelt. Gottheiten erfunden und mir gedacht, ich könnte ähnlich wie auch in der islamischen Version die 99 Namen meiner Gottheiten aufsagen. Das Blöde dabei ist aber, dass da eine Gebetskette nicht sehr hilfreich ist, denn die 99 Namen müsste man auswendig können (diese zu lernen, ist mir aber zu viel Aufwand), und wenn man sie abliest, braucht man dafür keine Perlenkette.
Ich habe diese Idee also bald verworfen und mir gedacht, dass eine Gebetskette nur dann einen Sinn hat, wenn man damit gleichbleibende Sprüche aufsagt und die Perlen zum zählen nimmt. Also habe ich mich von den hinduistischen Göttermantras (z.B. Om Namah Shivaya „Om — Ehre sei Shiva“) ebenso inspirieren lassen wie von der islamischen Version, wo drei verschiedene Ehrenbezeugungen Allah gegenüber je 33 x rezitiert werden (Subhan Allah – „Erhaben ist Gott“, Al-hamdulillah – „gelobt sei Gott“, Allahu Akbar – „Gott ist größer“).
Die Praxis des Rosenkranzgebetes ist ganz einfach. Man benötigt dafür eine passende Gebetskette mit entsprechend vielen Perlen. Meist markiert eine Quaste oder große Perle oder ein passender Anhänger den Anfangs- und Endpunkt. Man setzt sich bequem hin (vor den Hausaltar oder an sonst einem passenden Ort), nimmt den Rosenkranz zwischen zwischen Daumen und Zeige- oder Mittelfinger und lässt bei jedem Gebetsspruch eine Perle weiter durch die Finger gleiten. Da es sich um kurze Sprüche handelt, die man schnell auswendig kann, kann man bei diesem Gebet auch die Augen schließen und so einen meditativen Zustand fördern. Der Anfangs- und Endpunkt sowie vielleicht auch spezielle Perlen mitten in der Kette können eigene Sprüche, z. B. Begrüßungen oder längere Gebete markieren. Die normalen Perlen sind dann für die mantra-artigen Wiederholungen gedacht.
Mein Rosenkranzgebet
(Ehrung aller Gottheiten sowie einer bestimmten Gottheit)
Als Grundgerüst habe ich dafür die keltischen „Kardinaltugenden“ genommen, wie sie Diogenes Laertios im “Leben und Meinungen berühmter Philosophen”, Buch 1, §5 überliefert: “Und sie [welche der Meinung sind, dass die Philosophie ihren Ursprung bei den Barbaren hätte] sagen, dass die Gymnosophisten [altgriech. Bezeichnung für die Brahmanen] und die Druiden in dunklen Worten lehren, man solle die Gottheiten ehren und nichts Böses tun und tapfer sein.“ Dass die Sprüche natürlich in (rekonstruiertem) Gallisch sind, ist selbstredend.
I: Wahrheit (Die Gottheiten ehren)
SULIS VIRIA ESTI! „Sulis ist die Wahrheit!“
SULIS LANOVIRA ESTI! „Sulis ist am wahrhaftigsten!“
SULIS VIRODEVA ESTI! „Sulis ist die wahre Göttin!“
ENEPON SULE LANOVIRAI NEMETISAMAI! (1x) „Ehre der wahrhaftigsten, heiligsten Sulis!“
SULI LANOVIRA! (15x) „Wahrhaftigste Sulis!“
ENEPON SULE LANOVIRAI NEMETISAMAI! (1x) “ Ehre der wahrhaftigsten, heiligsten Sulis!“
SULI LANOVIRA! (15x) „Wahrhaftigste Sulis!“
ENEPON SULE LANOVIRAI NEMETISAMAI! (1x) “ Ehre der wahrhaftigsten, heiligsten Sulis!“
Durch die Wahrheit der SULIS ehre ich die Gottheiten.
II: Heil (Nichts Böses tun)
SULIS SLANIA ESTI! „Sulis ist das Heil!“
SULIS IANODAGA ESTI! „Sulis ist gerecht und gut!“
SULIS DAGOMATIR ESTI! „Sulis ist die gütige Mutter!“
ENEPON SULE IANODAGAI NEMETISAMAI! (1x) „Ehre der gerechten, guten und allerheiligsten Sulis!“
SULI IANODAGA! (15x) „Beste Sulis!“
ENEPON SULE IANODAGAI NEMETISAMAI! (1x) „Ehre der gerechten, guten und allerheiligsten Sulis!“
SULI IANODAGA! (15x) „Beste Sulis!“
ENEPON SULE IANODAGAI NEMETISAMAI! (1x) „Ehre der gerechten, guten und allerheiligsten Sulis!“
Durch das Heil der SULIS tu ich Gutes und meide Böses.
III: Kraft (tapfer sein)
SULIS NERTON ESTI! „Sulis ist die Kraft!“
SULIS NERTOMARA ESTI! „Sulis ist großmächtig!“
SULIS NERTORIGANI ESTI! „Sulis ist die mächtige Königin!“
ENEPON SULE NERTOMARAI NEMETISAMAI! (1x) „Ehre der großmächtigen, allerheiligsten Sulis!“
SULI NERTOMARA! (15x) „Großmächtige Sulis!“
ENEPON SULE NERTOMARAI NEMETISAMAI! (1x) „Ehre der großmächtigen, allerheiligsten Sulis!“
SULI NERTOMARA! (15x) „Großmächtige Sulis!“
ENEPON SULE NERTOMARAI NEMETISAMAI! (1x) „Ehre der großmächtigen, allerheiligsten Sulis!“
Durch die Kraft der SULIS bin ich tapfer und stark.
Einfache Version:
Mein derzeitiges Lieblings-Mantra für den Rosenkranz (ca. seit 2016) ist etwas einfacher und gilt für den ganzen Rosenkranz durchgehend:
33 x EVAH ENEPON SULE! (Evah – Ehre der Sulis!)
Als Vorlage nahm ich hier das Shiva-Mantra: OM-Namah-Shivaya – OM – Ehre sei Shiva. Hier habe ich nach einem „keltischen“ Ruf für das hinduistische AUM/OM gesucht, und mich vorerst für „EVAH“ entschieden. Laut Poseidonios soll dieser Ruf von den Samnitinnen auf einer mysteriösen Kultinsel vor der Loire-Mündung bei einem ziemlich blutrünstigen Ritual ausgerufen worden sein. Um es auch magisch bzw. spirituell gut nutzen zu können, kann man es so aussprechen, dass alle 5 Vokale dabei sind: E-I-U-O-AAA
P.S.:
Ich hoffe, dass aus dem Artikel auch klar wird, dass man als Keltenfan so ziemlich alles damit machen kann, weil es ja keinerlei Quellen dafür gibt, sondern es eine neue Erfindung ist.
Keltisch gesehen, kann man also auch 9, 12, 13, 15, 20, 25, 30, 50, 150 … Perlen nehmen. (Lauter wichtige Zahlen, die man hie und da in Mythen findet.)
Und auch als Mantra kann man je nach Belieben alles mögliche nutzen.
Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt!
Anmerkungen:
Ich habe mir für dieses Gebet SULIS als Göttin ausgesucht. Stattdessen ist jede x-beliebige festlandkeltische Gottheit einsetzbar. Man muss dafür nur die korrekten grammatikalischen Fälle benutzen:
SULIS (Nom.) VIRIA (Nom.) ESTI!
SULIS (Nom.) LANOVIRA (Nom.) ESTI!
SULIS (Nom.) VIRODEVA (Nom.) ESTI!
ENEPON SULE (Dat.) LANOVIRAI (Dat.) NEMETISAMAI (Dat.)!
SULI (Vok.) LANOVIRA (Vok.)!
Näheres zur gallischen Sprache hier:
http://en.wikipedia.org/wiki/Gaulish_language
Quellen:
REES Alwyn u. Brinley, „Celtic Heritage — Ancient Tradition in Ireland and Wales“,
Thames & Hudson 1989, ISBN: 0 500 27039 2, S. 199 ff. (über die mythologische Bedeutung der Zahl 33).